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Titel
Jesuit Political Thought. The Society of Jesus and the State, C. 1540-1630


Herausgeber
Höpfl, Harro
Reihe
Ideas in Context
Erschienen
Anzahl Seiten
406 S.
Preis
£55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schmidt, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Während der Hochphase konfessioneller Konfrontation im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert bildeten Mitglieder des Jesuitenordens die intellektuelle „Speerspitze“ gegenreformatorischer Bemühungen. Von protestantischen wie auch katholischen Gegnern wurde der Orden dementsprechend schnell kollektiv in Haftung genommen, wenn einzelne oder führende Mitglieder Tyrannenmord befürworteten (Mariana) oder dem Papst eine kontrollierende Macht (potestas indirecta) über sich als souverän verstehende Herrscher zuwiesen. Harro Höpfl nimmt in seiner hier vorzustellenden Arbeit in gewisser Hinsicht den dabei oft vorgebrachten verschwörungstheoretischen Vorwurf einer gleichgeschalteten Doktrin der Jesuiten produktiv und differenzierend auf. Ausgehend von ihrer gemeinsamen Ordenszugehörigkeit untersucht er erstmals das politische Denken so unterschiedlicher und oft äußerst einflussreicher Autoren wie Francisco Suarez, Luis de Molina, Juan de Mariana, Gabriel Vazquez, Giovanni Botero, Adam Contzen, Robert Persons oder des Kardinals Bellarmin nicht nur in einem systematischen Zusammenhang, sondern auch als Ausdruck einer distinkten jesuitischen politischen Theorie (S. 2). Höpfl sucht dabei insgesamt eine Verbindung zwischen „individueller“, in bestimmten ideengeschichtlichen Traditionen stehender Reflexion einerseits und den spezifischen Doktrinen, Problemen und der Ordnung einer religiösen Organisation andererseits. Neben einer kaum mehr zu überschauenden Literatur zu den einzelnen Autoren, Schulen und Diskussionszusammenhängen wie Neuthomismus, spanische Spätscholastik, Naturrechts- und Staatsräsondebatte kann er hier insbesondere auf die Forschungen des Jesuiten Robert Bireley zum katholischen politischen Denken und der Rolle jesuitischer Beichtväter in der Politik des konfessionellen Zeitalters aufbauen.1 Hinsichtlich des gewählten Fokus und der diskutierten Probleme orientiert er sich freilich mehr noch an Quentin Skinners „Foundations“.2

Höpfls in der renommierten Reihe „Ideas in Context“ erschienene, weitausgreifende Studie vereint – welche methodischen Programme deutsche Studieneinführungen auch immer der so genannten „Cambridge School“ zuschreiben mögen – wesentliche Tugenden angelsächsischer Ideengeschichte: genaue Kenntnis eines umfangreichen Textkorpus sowie der zeitgenössischen Topoi, Konventionen und Gattungen, verbunden mit einem hohen Maß an Problembewusstsein und argumentativer Stringenz. Dem Leser werden dabei zentrale Begriffe wie potestas, lex, ius gentium u.v.a. sorgfältig erläutert und in ihr semantisches Umfeld mit entsprechenden Äquivalenzausdrücken oder Gegenbegriffen eingeordnet. Höpfl hat für seine Studie nicht nur voluminöse theologisch-juristische Werke der Gattung „De iustitia et iure“ und die vielfältige Fürstenspiegelliteratur ausgewertet, sondern auch ergänzend die publizistische Kontroversliteratur von deutschen und englischen Jesuiten herangezogen. Demgegenüber steht – angelsächsischen Gewohnheiten entsprechend – ein vergleichsweise schmales, auf das Wesentliche beschränktes Literaturverzeichnis.

Höpfl geht zunächst von den Zielen, Aktivitäten, dem Aufbau und wesentlichen Doktrinen des Jesuitenordens (Kap. 1-4) aus. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die Regularien des Ordens und dessen Vorstellungen über den Aufbau und den Charakter der Kirche. Für Höpfl prädisponierten dabei Prinzipien wie Gehorsam, Affektkontrolle und hierarchische Struktur die Jesuiten ebenso für bestimmte politische Ideen wie ihre klare Bindung an den päpstlichen Führungsanspruch, der in dem die alte monastische Trias erweiternden, besonderen vierten Gehorsamsgebot gegenüber dem Papst signifikant zum Ausdruck kommt.

In der Tat optierten durchgängig alle untersuchten Autoren für die Monarchie als beste Staatsform und sahen in Hierarchie und Unterordnung grundlegende Bedingungen jeder Form von sozialer Ordnung, sei es für die des Staates, für die der Kirche oder eben für die des eigenen Ordens. Wie auch Höpfl freilich zugibt, war dies an der zeitgenössischen Diskussion gemessen wenig originell. Zahlreiche protestantische Theoretiker von Arnisäus bis Althusius, prominente Autoren wie Hobbes, Filmer u.a. dachten im Wesentlichen kaum anders (S. 51).

Häresie, Staatsräson und politische Klugheit (prudentia) (Kap. 4-8) waren weitere Themen, mit denen sich zahlreiche der untersuchten Texte auseinandersetzten. Höpfl stellt noch einmal deutlich heraus, inwiefern Botero und andere katholische Autoren die Häresiefrage in die Ratio-status-Diskussion einbrachten. Gegen die „Politiques“ betonten sie, dass religiöse Uniformität, folglich Intoleranz, nützlich und notwendig für den Erhalt des Staates sei. Gegen Machiavellis bekannte Kritik am Christentum (Discorsi 2, 2) behaupteten sie gerade den zivilreligiösen Wert des Katholizismus als gesellschaftlich stabilisierend und als Inspirationsquelle für tapfere, tugendhafte Bürger – insbesondere im Kontrast zum Calvinismus, dessen rebellischen Charakter schottische, englische und deutsche Jesuiten immer wieder aus den bekannten Texten zum Widerstandsrecht zu belegen versuchten.

Mancher Leser wird sich vielleicht enttäuscht finden, wenig oder nichts zu zahlreichen zentralen Themen der politischen Literatur um 1600 zu erfahren. Dieser Fokus resultiert unter anderem auch daraus, dass sich Höpfl implizit an Quentin Skinners „Foundations“ und dessen Problemstellungen (Herrschaftslegitimation, Kontraktualismus, Konstitutionalismus) orientiert. So übergeht Höpfl weitgehend Fragen der herrschaftlichen Machtmittel, also der Staatsfinanzen und des Militärs, der Wirtschaftsförderung, der Untertanenkontrolle, der politischen Beratung oder des gerechten Krieges, die die Zeitgenossen und insbesondere jesuitische Politikberater wie Contzen mit Blick auf eine gewachsene Bedeutung der Außenpolitik so intensiv beschäftigten. Dafür stellt Höpfl mit der Diskussion von prudentia (Kap. 8) den Reflexionsrahmen vor, in dem sich die Zeitgenossen über diese vornehmlich empirischen Fragen verständigten. Seine Studie entschädigt zudem mit subtilen Analysen zur politischen Autorität und Legitimität (Kap. 9), zu herrschaftslimitierenden vertragsrechtlichen Konstruktionen (Kap. 10), der Gesetzestheorie (Kap. 11) und Individualrechten (Kap. 12), die vor allem um die Positionen Molinas, Suarez’ und Marianas kreisen. In ihrer Zusammenschau gehören diese Kapitel sicherlich zu dem besten, was hierüber seit Skinners „Foundations“ geschrieben wurde. Höpfl geht dabei auf Distanz zu modernisierenden Akkomodationen im Sinne konstitutionalistischer oder grundrechtlicher Traditionen sowie bspw. Skinners Versuch, Mariana u.a. zu „Vordenkern“ für Locke und ähnliche kontraktualistische Modelle zu machen. Jesuitische Theoretiker leiteten etwa die Autorität von Herrschaft nicht patriarchalisch aus der Familie und dem thomistischen Postulat natürlicher Gleichheit und Freiheit des Menschen ab, noch begrenzte letztere besonders zwingend die herrscherliche auctoritas (S. 204ff.) oder das bonum commune (Kap. 12). Im Gegensatz zu Hobbes u.a. wurde bei den meisten Jesuiten der abgesehen von Suarez kaum diskutierte vorstaatliche (Natur-)Zustand nicht als entscheidend für die vertragliche Herrschaftsübertragung vom Gemeinwesen auf den princeps und deren Bedingungen angesehen. Gerade im Hinblick auf die Rolle des princeps in einer voluntaristischen Gesetzgebungstheorie bei Suarez weist Höpfl erstaunliche Parallelen zur absolutistischen Theorie (Bodin, Hobbes) nach.

Trotz der gelungenen Einzelproblemanalysen scheint mir jedoch insgesamt die inhaltliche Zusammenfassung aller dieser höchst unterschiedlichen Denker und Texte unter dem Sammelbegriff „jesuit political thought“ und als „distinctively Jesuit“ (S. 2) im Sinne einer bestimmten Schule oder Denkrichtung diskussionswürdig. Höpfl argumentiert zwar vorsichtig und gesteht eine große Bandbreite von Vorstellungen unter den untersuchten Autoren zu. Freilich behauptet er auch eindeutig eine „overall homogeneity of thought“ (S. 366) und sieht überall eine „identifiable conception of polity at work“ (S. 367). Es bleibt zu fragen, ob damit nicht die Unterschiede etwa zwischen dem im Problemhorizont und der Form der „Discorsi“ Machiavellis schreibenden Botero oder dem kompendiösen Aristotelismus Contzens und den in theologisch-thomistischen Kategorien und Verweissystemen denkenden spanischen Spätscholastikern (Molina, Vazquez, Suarez) hinsichtlich der Staatsziele etc. unnötig nivelliert und sogar verwischt werden. Dies wird auch daran deutlich, dass Höpfl häufig nur bestimmte Autoren für bestimmte Probleme heranziehen kann. Wenn er etwa Francisco Suarez große Passagen widmet, so mag dies aufgrund von dessen außergewöhnlicher und ideengeschichtlich interessanter Behandlung bestimmter Probleme (Naturzustand, Vertragstheorie) gerechtfertigt erscheinen. Repräsentativ für die politische Theorie der meisten Jesuiten waren seine unkonventionellen Ideen, wie auch Höpfl zugesteht (S. 261f., 300), jedoch kaum. Schließlich ist der von Höpfl identifizierte gemeinsame Nenner (S. 367) der jesuitischen Autoren denn auch so allgemein, dass er wohl mühelos von einer Mehrzahl katholischer wie protestantischer Theoretiker des konfessionellen Zeitalters unterschrieben hätte werden können. Diese generellen Bedenken schmälern freilich nicht, dass die Studie immer wieder durch sorgfältige Einzelanalysen wie etwa zur Tyrannenmordfrage (Kap. 13) besticht, die Jesuit Political Thought zu einem echten Standardwerk machen.

Anmerkungen:
1 Bireley, Robert, The Counter-Reformation Prince. Anti-Machiavellianism or Catholic Statecraft in Early modern Europe, Chapel Hill 1990; Ders., Maximilian von Bayern, Adam Contzen, S. J., und die Gegenreformation in Deutschland 1624-1635, Göttingen 1975.
2 Skinner, Quentin, The Foundations of Modern Political Thought, Bd. 2, Cambridge 1978.

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